Dachlandschaften

Vorgaben der Landesregierung interessieren in der alten Reichsstadt nicht

Seit Mai 2022 gelten für die Genehmigung von Photovoltaik-Anlagen im Denkmalschutz neue Vorgaben der Landesregierung. Merkt man davon etwas in der Praxis? Nein.

Viele Hausbesitzer in der Innenstadt fragen sich, wie die Energie- und Wärmeversorgung ihrer Gebäude bei steigenden Brennstoff-Preisen und mit dem für alle verbindlichen Umstieg zu einer möglichst CO2-armen Lebensweise aussehen soll. Städtische Behörden sehen sich dabei nicht als Berater oder Ideengeber, sondern als Verteidiger des Status Quo. Das weiss jeder, der schon mal wegen der Installation einer Photovoltaik-Anlage nachgefragt hat.

Für reichsstädtische Amtsstuben findet Klimawandel anderswo statt – nicht in Esslingen. Um  diese Denkblockaden zu ändern, habe ich einige Fakten über die Rahmenbedingungen für solare Photovoltaik/solare Wärme 2023 aufgeschrieben.

Denkmalschutz, Ensembleschutz und Gesamtanlagen-Satzung

Der Denkmalschutz behandelt einzelne Gebäude, der Ensembleschutz eine Gruppe von Gebäuden (z.B. Straßenzüge, einen Platz, ein Stadtviertel). Der Ensembleschutz in Esslingen umfasst vereinfacht den Bereich der Altstadt innerhalb der Ringstrasse und die historische Stadtbefestigung der Esslinger Burg.

Die historische Altstadt wurde vor 22 Jahren durch Beschluss des Gemeinderats unter Denkmalschutz gestellt. Diese „Gesamtanlagen-Satzung“ wurde zuletzt 2005 modifiziert (vor 18 Jahren). Aber schon in der Fassung von 2005 sind Veränderungen wie „Anlagen zur photovoltaischen und thermischen Solarnutzung“ zulässig. Zitat:

Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Veränderung das Bild der Gesamtanlage nur unerheblich oder nur vorübergehend beeinträchtigen würde oder wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls unausweichlich Berücksichtigung verlangen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 24. März 2021 die staatliche Verpflichtung für aktiven Klimaschutz nochmals drastisch verschärft hat, wäre eine rechtliche Prüfung interessant, ob diese überwiegenden Gründe des Gemeinwohls nicht schon lange gelten und „unausweichlich Berücksichtigung verlangen“.

Download Gesamtanlagensatzung

 

Einfach nur ablehnen geht nicht mehr

Die verwaltungs-interne Leitlinie setzt klare Vorgaben. Die Behörde muss Ermessens-Spielräume ausnutzen, Nebenbestimmungen berücksichtigen und mögliche Alternativ-Standorte (z.B. auf Nebengebäuden) prüfen. Zitat:

Die Errichtung von Solaranlagen an oder auf Kulturdenkmälern bedarf grundsätzlich einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung. Die Genehmigung ist regelmässig zu erteilen. Nur bei einer erheblichen Beeinträchtigung kommt eine abweichende Entscheidung in Betracht.

Ein Bescheid, der diese Punkte nicht berücksichtigt, ist mindestens fehlerhaft und kann Grundlage einer rechtlichen Prüfung sein.

Solarzellen sind blau und hässlich?

Moderne Solarmodule gibt es in unterschiedlichen Bauformen. Neben klassischen Aufdach-Modulen im Format von ca. 1,00 x 1,70 m existieren zahllose In-Dach-Lösungen und ebenso Solardach-Ziegel, die besonders für kleinteilige Dächer mit Fenstern und Gauben interessant sind. Sowohl klassische Module als auch Solarziegel gibt es in unterschiedlichen Farben inklusive schwarz, grün und ziegelrot. Bei klassischen Modulen sind die Preise in den letzten 20 Jahren um 90% gefallen.

Gefärbte Module haben eine etwas geringere Leistung und Solarziegel liegen noch darunter. Deshalb ist es nicht sinnvoll, ein intaktes Bestandsdach mit Solarziegeln auszustatten. Wenn sowieso eine neue Deckung ansteht, kann es anders aussehen, denn den Mehrkosten der Ziegel steht eine eventuell bessere Ausnutzung der Dachfläche gegenüber.

Solarrebellen im Denkmal

Einige Hausbesitzer in der Innenstadt bilden ein informelles Netzwerk, um die Installation moderner und ästhetisch ansprechender Solaranlagen nach den aktuell geltenden Vorgaben des Landes auch für Esslingen durchzusetzen. Andere Gemeinden, die ebenfalls ein mittelalterliches Stadtbild haben und einen deutlich höheren Schutzstatus geniessen (z.B. die Altstadt Regensburg, die in die UNESCO Welterbeliste aufgenommen ist), haben Lösungen gefunden – die Stadtverwaltung Esslingen lehnt sich zurück und wartet auf besseres Wetter.

Für das Kielmeyer Haus am Marktplatz wurden alle bisherigen Anträge abgelehnt, ein DIalog über mögliche Lösungen fand nicht statt. Die städtische Behörde hat keine eigenverantwortliche Entscheidung getroffen, sondern sich hinter vorformulierten Texten aus dem Landesdenkmalamt versteckt.

Anträge für weitere Gebäude in der Innenstadt, die innerhalb oder ausserhalb des Ensembleschutz-Gebiets liegen, werden gerade vorbereitet. Sollte es auch dort keine Bewegung geben, bleibt nur der Weg der Verwaltungsklage (Untätigkeitsklage).

Balkonkraftwerke in der Innenstadt - um Himmels Willen!

Diese „steckerfertigen Erzeugungsanlagen“ können selbst installiert werden. Es gibt keine Anschlusspflicht durch einen Solar-Bauer, solange die ins Stromnetz abgegebene Leistung innerhalb der Bagatellgrenze bis 600W liegt (EU-weit gilt die Grenze 800W, der deutsche Sonderfall 600W – ein Abschiedsgeschenk der Ära Merkel – wird sich hoffentlich bald ändern).

Aber auch bei Balkonkraftwerken kennt die Stadt Esslingen bisher nur eine Strategie: vertrösten, verunsichern und regelmässig verweigern. Deshalb gibt es in den etwa 48.000 Haushalten im Stadtgebiet gerade mal 88 registrierte Klein-Anlagen unter 1 kWp Leistung. Davon 19 in der Innenstadt – und selbst die vermutlich ohne Wissen der Museumswächter im Baurechtsamt (Quelle: Marktstammregister der Bundesnetzagentur https://www.marktstammdatenregister.de).